Schleichender Lungentod wird zunehmend „Frauensache“
Über 500.000 Menschen in Österreich und rund 75.000 in der Steiermark leiden an einer behandlungsbedürftigen COPD. Hinter dem für Laien geheimnisvollen Kürzel verbirgt sich eine chronische-obstruktive Lungenerkrankung, die "Chronic Obstructive Pulmonary Disease". Verursacher einmal mehr überwiegend aktives und passives Rauchen, aber auch Feinstaub und Umweltgifte in der eingeatmeten Luft. KAGes-Experte Primarius Dr. Gert Wurzinger vom LKH Enzenbach warnt eindringlich, dass COPD laut aktuellen Zahlen in 20 Jahren eine typische „Frauenkrankheit" sein wird.
Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) lag 1990 die COPD an 6. Stelle der weltweit häufigsten Todesursachen. 2020 wird sie den dritten Platz belegen, rund 600 Millionen Menschen sind davon betroffen. COPD ist vor allem ein Problem der entwickelten Wirtschaftsländer.
Studien belegen, dass auch in Österreich die Zahl der an COPD erkrankten Personen konsequent zunimmt. Dabei zeigt sich ein deutlich stärkerer Anstieg bei den Frauen als bei den Männern.
Dr. Gert Wurzinger, Primarius an der Abteilung für Lungenkrankheiten am LKH Enzenbach und ausgewiesener Experte in Sachen Lungenkrankheiten kann dies nur bestätigen. „Vor 20 bis 30 Jahren war die COPD eine typische Männerkrankheit. Dieses Bild hat sich stark gewandelt. Die Frauen haben die Männer schon überholt und in 20 Jahren wird die COPD eine typische Frauenkrankheit sein." Die Verschiebung der COPD-Häufigkeit von den Männern zu den Frauen ist vermutlich Folge einer vor ca. 20 Jahren begonnenen Zunahme des Zigarettenrauchens bei den Frauen -, die COPD-Erkrankung folgt mit einem zeitlichen Abstand von 20 - 40 Jahren.
Im Spätstadium ist COPD eine Erkrankung, die mit Verlust an Lebensqualität, mit Invalidität und vorzeitiger Mortalität verbunden ist. Die Behandlung ist mit einem hohen Kostenaufwand verbunden, der durch Ausfall der Erwerbstätigkeit, häufigen Arztbesuchen und Krankenhausaufnahmen verursacht wird. Je früher eine COPD aufgedeckt wird, desto eher sind ein Stillstand der Erkrankung und damit auch eine Eindämmung der Kosten möglich.
Lungenfunktionsuntersuchungen werden vernachlässigt
Primarius Wurzinger kritisiert, dass in Österreich 60 Prozent aller COPD-Patienten noch niemals einer Lungenfunktionsuntersuchung unterzogen wurden und die Früherkennung von Lungenkrankheiten im Allgemeinen und von COPD im Speziellen in der Mehrheit der Fälle unterbleibt.
Wie bei vielen Lungenerkrankungen ist Rauchen als Hauptursache der COPD- nämlich zu 80 bis 90 Prozent - verantwortlich. Nur in einem geringen Teil der Fälle sind Feinstaub und berufliche Schadstoffe Verursacher dieser vielfach unterschätzen und nicht heilbaren, wohl aber weitgehend vermeidbaren Lungenerkrankung.
COPD, verständlicher als „chronische Schadstoffbronchitis" beschreibbar, ist eine über Jahrzehnte ablaufende entzündliche Verengung der Atemwege, die nicht rückgängig gemacht werden kann. Entscheidend dabei sind eine komplexe Schädigung des Reinigungssystems unserer Atemwege und deren Reparaturmechanismen gegenüber Schadstoffen, die mit jedem Atemzug eingeatmet werden. Entstehen und Fortschreiten der Erkrankung können in seltenen Fällen neben dem Rauchen durch genetische Defekte verursacht werden. Typisch für die COPD ist, dass sich die Symptomatik kontinuierlich verschlechtert, wenn Risikofaktoren nicht vermieden werden und keine Therapie eingeleitet wird. Das Allerwichtigste dabei ist, so rasch wie möglich die Schadstoffzufuhr zu unterbinden - also sowohl aktives als auch passives Rauchen abzustellen.
Die Symptome der COPD werden vom PatientInnen oft gar nicht als Krankheitsbild erkannt, vielfach nicht ernst genommen. Das Problem liegt vor allem darin, dass das konsequente Schwinden der Atemreserve und damit der körperlichen Leistungsfähigkeit aufgrund des menschlichen Gewöhnungseffektes im Anfangsstadium lange ignoriert wird. Erst nach Jahren erkennt der RaucherInnen den massiven Leistungsverlust, wenn der gewohnte Tagesablauf durch die Atemnot nicht mehr zu bewältigen ist.
Profitgier contra Volksgesundheit
Primarius Wurzinger: "Schon Kinder beginnen zu rauchen, werden früh abhängig gemacht. Wenn sie dann mit 40 oder 50 Jahren aufgrund der Atemnot den Arzt aufsuchen, muss oftmals festgestellt werden, dass schon 40 bis 50 Prozent der Lungenleistung unwiderruflich verloren sind." Für Primarius Wurzinger sind die Rauchergesetze in Österreich nicht nur widersinnig, er rückt die Verhinderung eines strengeren Nichtraucherschutzes sogar in die Nähe der vorsätzlichen Körperverletzung (mit oftmals tödlichem Ausgang!). Der öffentliche Nichtraucherschutz wird seit Jahren aus Profitgier verhindert, wohl wissend, dass in Österreich täglich drei Menschen aufgrund des Passivrauchens und rund 30 Menschen an den Folgen des Aktivrauchens sterben! Der volkswirtschaftliche Schaden ist enorm. Jährlich kostet dies dem Staat Österreich weit über 500 Millionen Euro!
Der Lungenexperte der KAGes kritisiert aber auch die mangelnden Möglichkeiten der Rehabilitation in Österreich: „Trotz guter Behandlungserfolge im Akutkrankenhaus gibt es gravierende Mängel in der Rehabilitation von an den Lungen geschädigten Patienten", so Wurzinger. Nicht einmal 10% der benötigten Therapieplätze sind vorhanden. Das Behandlungskonzept für chronische Erkrankungen sieht nach einer stationären Rehabilitation eine Weiterführung im patientennahen Bereich vor. Während in Deutschland rund 800 (!) Lungensportgruppen existieren, welche diese Aufgaben übernommen haben, gibt es in Österreich nicht einmal eine einzige, so Primarius Dr. Gert Wurzinger.
So ist es auch nicht verwunderlich, dass der sehr teure Behandlungseffekt im Akutkrankenhaus nicht lange anhält.
Das Europäische COPD-Audit, eine umfangreiche Analyse, welche 2012 von der European Respiratory Society (ERS) in 17 EU-Staaten zur Feststellung der Behandlungsqualität von PatientInnen mit COPD durchgeführt wurde, ergab, dass die österreichischen Akutkrankenhäuser in der akutmedizinischen Betreuung sehr gut abschnitten, die Wiederaufnahmerate der PatientInnen im Krankenhaus innerhalb von 90 Tagen nach Entlassung jedoch deutlich über dem EU-Durchschnitt lag. Die Ursache liegt in der mangelnden weiteren Betreuung der COPD-Patienten nach Entlassung aus dem Krankenhaus. Rehabilitationsprogramme sind nur für 18% der Betroffenen in Österreich zugänglich, im europäischen Durchschnitt hingegen für rund die Hälfte der PatientInnen. Diese häufigen und kurzfristigen Wiederaufnahmen verursachen unserem Gesundheitssystem unnötig hohe Kosten und verschlechtern den Zustand der PatientInnen in immer kürzeren Abständen - eine Kosten- und Schicksalsspirale, die sich immer rascher dreht!
In der Steiermärkischen Krankenanstaltengesellschaft (KAGes) - also in den steirischen Landesspitälern - werden COPD- PatientInnen an den pomologischen Abteilungen des LKH-Univ. Klinikum Graz, des LKH Hörgas-Enzenbach und LKH Graz West sowie des LKH Leoben-Eisenerz nach neuesten medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen betreut. Pro Jahr werden etwa 9000 PatientInnen stationär behandelt. Es fallen rund 44.000 - 46.000 Belagstage an.
Zu den besorgniserregenden Zahlen betreffend "Chronic Obstructive Pulmonary Disease" nehmen auch die KAGES-Vorstände, Vorstandsvorsitzender Univ. Prof. Dr. Karlheinz Tscheliessnigg und Finanz- und Technikvorstand Dipl. KHBW Ernst Fartek, MBA, Stellung: „Das Wissen über COPD in der Öffentlichkeit ist sehr mangelhaft. Ein beträchtlicher Teil der stationären Aufnahmen und damit der Kosten könnten eingespart werden, wenn Patientinnen und Patienten mit COPD schon im Frühstadium entdeckt und behandelt werden könnten. Gerade aber bei dieser Krankheit kann das Gesundheitssystem fast nur noch Schaden begrenzen, bereits verlorene Lungenfunktion kann nicht wiederhergestellt werden. Das persönliche Leid und Leiden in der Folge ist erheblich. Wir von der Steiermärkischen Krankenanstaltengesellschaft wollen diesen COPD-Welttag der WHO dazu nützen, Menschen unabhängig von Alter, Geschlecht oder Beruf aufzurufen, im Rahmen eines Besuches beim Lungenfacharzt präventiv eine Lungenfunktionsuntersuchung durchführen zu lassen!"
Foto 1: Primarius Dr. Gert Wurzinger, LKH Enzenbach, LKH Graz-West
Foto 2: Künstliche Beatmung zur Unterstützung der geschädigten Lunge
Foto 3: Primarius Gert Wurzinger mit Team am Krankenbett in der Intensivstation
Alle Fotos honorarfrei/ Fotocredit: KAGes/Pachernegg