Entwicklung der Pflegeklassifikation DiZiMa®

Das IT-gestützte Pflegemodul in openMEDOCS ist der zuvor verwendeten papierbasierten Dokumentation sehr ähnlich und orientiert sich am Pflegemodell von Roper et al., welches ohne Probleme in der Software abgebildet werden konnte. Das Pflegeassessment, als erstes Element in der Prozessdokumentation, wurde von der Direktion Pflege gemeinsam mit den Expert*innen für Pflege- und Behandlungsprozessdokumentation entwickelt und auf das gesamte Unternehmen abgestimmt, wobei eine Differenzierung zwischen dem Pflegeassessment für Kinder und einem für Erwachsene gemacht wurde.

Im Rahmen der ersten Pilotphase gab es noch keine Pflegediagnosen im System. Die Pflegeplanung wurde in der bekannten Form „Problem-Ziele-Maßnahmen" durchgeführt. Dazu wurde ein „Testkatalog" kreiert, welcher aus dem Pflegewissen der organisatorischen Einheiten vor Ort ohne Wissen über Klassifikation und die notwendige Struktur für eine elektronische Pflegedokumentation bestand. Diese Pflegekataloge spiegelten die Interessen seiner Entwickler wider und somit konnten Gesamtinteressen kaum berücksichtigt werden. Durch den Mangel an pflegetheoretischer Systematik kam es dazu, dass das Suchen und Finden diverser Begriffe erschwert war und dass Auswertungen bzw. Statistikerfassungen auf keine vergleichbaren Daten stützten. Zudem zeigte sich, dass es durch solche Kataloge auf der einen Seite zu Redundanzen sowie Lücken und auf der anderen Seite zu Vermischung der pflegerischen Kernkompetenzen und der Kompetenzen bei medizinischer Diagnostik und Therapie mit rechtlich bedenklichen Formulierungen gekommen ist. Vor diesem Hintergrund wurde bewusst, dass eine methodische und strukturierte Erarbeitung der Pflegekataloge unumgänglich ist.

Deshalb wurde in einem zweiten Schritt angedacht KAGes-interne Pflegediagnosen zu entwickeln, denn Strukturierung und Systematisierung von Daten verlangen den Einsatz von Pflegediagnosen. Hinsichtlich dieser Tatsache musste die Entscheidung getroffen werden, ob bereits vorhandene Klassifikationssysteme eingesetzt oder eigene Pflegekataloge entwickelte werden sollen. Argumente wie die gesetzlichen Grundlagen in Österreich, die bestehende Vielfalt an Terminologie- und Klassifikationssystemen für unterschiedliche Bereiche der Pflege, mögliche Lizenzgebühren für bereits bestehende Pflegeklassifikationssysteme, sowie die Frage hinsichtlich der Praxistauglichkeit bei der Verwendung von Pflegediagnosen mit anderen kulturgesellschaftlichen und historischen Hintergründen, sprachen für die Entwicklung eigener Pflegekataloge. Somit wurde das Projekt „Diagnosen-Ziele-Maßnahmen" (DiZiMa®) ins Leben gerufen, wobei es sich um KAGes-weit vereinheitlichte Pflegekataloge handelt.

Diese Pflegediagnosen bilden die Basis für die Beurteilung einer Reaktion eines Individuums auf gesundheitliche Probleme sowie die Grundlage für die Auswahl entsprechender pflegerischer Interventionen, um ein Ziel zu erreichen. Bei der Entwicklung der KAGes-Pflegekataloge wurden gesetzliche und theoretische Vorgaben berücksichtigt. Zunächst wurden die Pflegekataloge in Pflegediagnosen (Diagnosetitel, Definition) Ätiologien, Symptome, Risikofaktoren, Voraussetzungen, Ressourcen, Pflegeziele und Pflegeinterventionen gegliedert, damit eine klare Struktur geschaffen wird. Um die Anwender*innen bei der pflegerischen Entscheidung aktiv zu unterstützen, wurden die Erkenntnisse vom „Pflegewissens- und Entscheidungsfindungsmodell" nach McCloskey und Bulechek (1992) berücksichtigt, wobei anzumerken ist, dass für die korrekte Pflegediagnostik allerdings ein entsprechendes Pflegefachwissen und Dokumentationsverständnis von Seiten der diplomierten Pflegeperson notwendig ist.

Im Rahmen der Entwicklung der KAGes-Pflegekataloge wurde unter Berücksichtigung der gesetzlichen Vorgaben der pflegerischen Kernkompetenzen und Kompetenzen bei medizinischer Diagnostik und Therapie differenziert dargestellt, um eine saubere Datenbasis zu schaffen. Zusätzlich wurde hinsichtlich der Qualitätsanforderungen die notwendige Vorarbeit geleistet, die routinemäßigen Auswertungen der Pflegedokumentation zu vereinfachen. Damit eine Mehrfachnutzung erhobener Pflegedaten gewährleistet werden kann, wurde bereits bei der Entwicklung der Pflegekataloge darauf geachtet, dass ein Mapping mit internationalen Referenzterminologien möglich ist. Ergänzend wurde vor dem Hintergrund einer verkürzten Aufenthaltszeit im Akutkrankenhaus auch die Notwendigkeit der elektronischen Weiterleitung elektronischer Pflegeinformationen in Form von Pflegeverlegungs- oder Pflegeüberleitungsberichten an nachgeschaltete Betreuungseinrichtungen oder die extramurale Pflege bedacht, denn eine hohe Versorgungskontinuität setzt eine funktionierende Kommunikation zwischen allen Beteiligten im Betreuungsprozess voraus.

Ausgehend von der Fragestellung, welche Pflegediagnosen in der Praxis häufig gestellt bzw. zur Beschreibung pflegerelevanter Problemstellungen am häufigsten benötigt werden, wurden die ersten 37 DiZiMa® entwickelt. Eine wertvolle Basis bildeten dabei die bei der steiermarkweiten Pflegedokumentationsevaluierung im Jahr 2003 gesammelten Pflegeprobleme, Pflegeziele und Pflegeinterventionen. Dieser induktive Weg der Entwicklung und die aktive Einbeziehung der Pflegenden aus der Praxis führten zu einem in der pflegerischen Praxis gut einsetzbaren Produkt, welches breite Akzeptanz von Seiten der Anwender*innen findet.

Ein erster Entwurf der DiZiMa® wurde aus den Basisdaten der Dokumentenanalyse unter zu Hilfenahme adäquater pflegerischer Fachliteratur erstellt. 

Da die Praxistauglichkeit der DiZiMa® und eine hohe Akzeptanz der DiZiMa® von Seiten der Pflegenden für uns wesentliche Kriterien darstellen, wurde die „Rohfassung“ der DiZiMa® an alle Anstalten zur Akzeptanzprüfung übermittelt. Anmerkungen, Ergänzungen und Korrekturvorschläge wurden anschließend von den Anstalten in einem speziellen Rücksendeformular wieder an die Direktion Pflege übermittelt.

Zusammenführung der gesamten Rückmeldungen und Überarbeitung der Pakete unter folgenden Gesichtspunkten:

  • Konsensfindung: Über den Titel und die Definition der Pflegediagnose.
  • Keine Polysemie: Eindeutigkeit der Begriffe, d.h. einem Begriff dürfen nicht mehrere Bedeutungen zugeordnet sein.
  • Keine Synonyme: Ein Sachverhalt darf nicht mit unterschiedlichen Begriffen bezeichnet werden
  • Kontextunabhängigkeit: Der Begriff sollte ohne weitere Zusammenhänge verständlich sein. 

Literaturgeschützte Überprüfung der DiZiMa® in Bezug auf die fachliche Stimmigkeit. Bei Uneinigkeiten oder Unklarheiten wurde ein Konsensmeeting durch ein Expert*innenteam, bestehend aus Diplomierten Gesundheits- und Krankenpflegepersonen mit pflegewissenschaftlicher Qualifikation, durchgeführt.

Mittels dreiachsiger Darstellung (Überschrift -->Unterüberschrift-->Pflegevariable) wurde ein pflegefachlicher Suchmodus entworfen, welcher eine einfache und schlüssige Navigation in den Katalogen des elektronischen Dokumentationssystems ermöglicht.

Der Masterkatalog beinhaltet Atiologien, Symptome, Ressourcen, Ziele und Pflegeinterventionen der pflegerischen Kernkompetenzen. Die erste Achse bilden die zwölf Lebens-aktivitäten. Auf das Modell von Roper et al. wurde deshalb zurückgegriffen, da das Modell sowohl in der Ausbildung als auch in der Praxis in der Steiermark seit mehr als 20 Jahren eingesetzt wird. Die zweite Achse enthält Überbegriffe und die dritte Achse bezeichnet die konkreten Variablen.

Um die DiZiMa® in das EDV System implementieren zu können, werden alle Variablen mit einem mehrstelligen Zahlencode versehen. Durch den Zahlencode, welcher den Schlüssel des pflegerischen Begriffes (Variable) bildet, erhält jede Variable einen fixen Platz im Computersystem. Die DiZiMa® sind alphanumerisch kodiert und die Erweiterung der Variablen ist ohne Problem möglich.

Bei der Erstellung der DiZiMa® geht es in erster Linie darum, den Anwender*innen ein Instrument anzubieten, mit welchem die am Patient*innen durchgeführte Pflege nachvollziehbar und gesetzeskonform dokumentiert werden kann. Die Forderung war, dass die Pflegeinterventionen so dokumentiert werden, dass jederzeit nachvollzogen werden kann, welche Interventionen geplant sind und diese so exakt dokumentiert sind, dass die Durchführung der Interventionen ohne zusätzliche Informationen möglich sein muss. Um die Zahl der für eine so differenzierte Interventionsdokumentation notwendigen Variablen überschaubar zu halten, wurde in der elektronischen Pflegedokumentation die Möglichkeit geschaffen, die Pflegeinterventionen durch Freitexteingaben oder durch Einträge aus einem Heil- und Hilfsmittelkatalog zu ergänzen. Die Festlegung der Inhalte dieser Kataloge erfolgt individuell für jedes Krankenhaus, da die dort eingesetzten Heil- und Hilfsmittel in engem Kontext zu den Fachschwerpunkten der Krankenanstalten stehen.

 

 

Struktur der Pflegekataloge

Die Frage, „Was soll mit der elektronischen Dokumentation erreicht werden?“, kann in einem Unternehmen unterschiedliche Interessen aufwerfen. Für das Pflegemanagement ist eine Leistungsdokumentation deshalb interessant, weil davon abgelesen werden kann, was verschiedene organisatorische Einheiten tatsächlich leisten. Für den Bereich der Pflege wurde durch die Erstellung der DiZiMa® primär das Ziel verfolgt, den Anwender*innen ein praktikables Instrument zu bieten, mit welchem die an den Patient*innen durchgeführte Pflege nachvollziehbar geplant und gesetzeskonform dokumentiert werden kann.

Klassifikationssysteme wie beispielsweise ICNPâ, NANDA umfassen pflegerische Tätigkeiten, die nicht in den eigenständigen Tätigkeitsbereich der Pflege fallen, sondern in den Bereich der „colloborativ problems“. Bei den Interventionen werden Dokumentations-, Planungs- und Koordinationsaufgaben, ebenso die Mitarbeit an diagnostischen therapeutischen Maßnahmen berücksichtigt, obwohl hier die medizinische und nicht die pflegerische Diagnose handlungsauslösend ist. Unter Berücksichtigung der gesetzlichen Grundlagen in Österreich wurden die Inhalte pflegefachlich und juridisch abgestimmt und zwischen pflegerischen Kernkompetenzen und Kompetenzen bei medizinischer Diagnostik und Therapie unterschieden. Der eigenverantwortliche Katalog (DiZiMa®) als Pflegeklassifikation kann demzufolge nur pflegerische Kernkompetenzen beinhalten. Zur effizienten Gestaltung der Pflegeplanung wurde ein Handbuch entwickelt, welches die Erläuterungen zu den DiZiMa® Interventionen beschreibt. Die genaue Beschreibung der Durchführung von Pflegeinterventionen wird über einen Hilfsmittelkatalog abgebildet.

Die Kompetenzen bei medizinischer Diagnostik und Therapie werden über die ärztlichen Anordnungen abgebildet.

Zusätzlich haben Pflegende die Möglichkeit zu dokumentieren, WIE, WO, WANN und WOMIT geplante Pflegemaßnahmen durchgeführt werden. Daraus ergibt sich die in Abbildung 2 dargestellte Einteilung in folgende Kataloge.

Abb. 1: Katalogeinteilung | ©KAGes

 

 

Kataloge der DiZiMa®

Bei der Entwicklung der Kataloge musste die vorgegebene Struktur im Pflegemodul des EDV-Programms openMEDOCS berücksichtigt werden. Die Katalogstruktur im herkömmlichen Pflegemodul besteht aus dem Masterkatalog, der grundsätzlich von allen organisatorischen Einheiten aufgerufen werden kann. Im Masterkatalog sind alle zur Verfügung stehenden Pflegevariablen (Ätiologie, Symptome…) codiert und als Begriff angeführt, sowie den entsprechenden Pflegediagnosen zugeordnet. Auf Basis dieses Masterkataloges können die DiZiMa® im EDV-System abgebildet werden. Die Systemstruktur des neuen Pflegemoduls EhP5 (Enhancement Package 5) erforderte eine völlig neue Katalogstruktur. Im neuen Pflegemodul (EhP7) gibt es für die Dokumentation von Pflegediagnosen und pflegerische Kernkompetenzen neu entwickelte Katalogstrukturen. Um Pflegediagnosen erfassen zu können wurden folgende Kataloge erstellt:

  • Katalog für Pflegediagnosen mit Definitionen
  • Katalog für Ätiologien
  • Katalog für Risikofaktoren
  • Katalog für Voraussetzungen
  • Katalog für Symptome
  • Katalog für Ressourcen
  • Katalog für Pflegeziele
  • Katalog für Pflegeinterventionen

Pflegeinterventionen können durch folgende 4 Kataloge spezifiziert werden:

  • Katalog für Pflegehilfsmittel
  • Katalog für Lokalisationen
  • Katalog für Durchführungsarten
  • Katalog für Zyklen

 

 

Überarbeitungsprozess der Pflegeklassifikation DiZiMa®

Im Hinblick auf die Einführung des neuen Pflegemoduls EhP7 wurden die seit 2008 in Verwendung stehenden DiZiMa® der Version 2.1 und die Pflegekataloge der Version 2.1 überarbeitet. Grundlage hierfür bildeten quantitative Auswertungen aus dem bestehenden Pflegemodul betreffend die Verwendungshäufigkeit einzelner DiZiMa® sowie deren Bestandteile (Ätiologien, Symptome,…). In altbewährter Form wurden die Anwender*innen vor Ort in den einzelnen Anstalten der Stmk. KAGes, mittels Rückspiegelung der Erkenntnisse aus den Auswertungen und der Möglichkeit zur Rückmeldung von Erfahrungen und Erkenntnissen aus der Pflegepraxis, in den Überarbeitungsprozess eingebunden. Eine anschließende Überprüfung der Erkenntnisse und Rückmeldungen mittels aktueller pflegewissenschaftlicher Fachliteratur durch das Expert*innenteam hat es ermöglicht, dass mittels Theorie- und Praxisvernetzung die Version DiZiMa® entwickelt werden konnte.

Entwicklungsprozess | ©KAGes

Derzeit erstreckt sich das Angebot der Pflegeklassifikation auf 70 DiZiMa® sowie die dazugehörigen Pflegekataloge. Mit diesem breiten Spektrum an Pflegediagnosen (welches seit 2008 ständig erweitert werden konnte) werden neben den allgemeinen Fachbereichen auch der psychiatrische, der neurologische, der geriatrische sowie der Fachbereich Kinder und Jugendliche zur Gänze abgedeckt. Weiters konnten spezifische Pflegediagnosen zum Thema Stillen und Pflege des Neugeborenen in die Pflegekataloge integriert werden. Weiteres wurden Diagnosen um den Fachbereich Rehabilitation erweitert.

Die universelle Einsatzmöglichkeit der erarbeiteten Inhalte zeigt sich in einem verstärkten Interesse verschiedenster Langzeitpflegeanbieter/-einrichtungen, die einen Einsatz der Inhalte in ihren Einrichtungen bereits umgesetzt haben oder eine Einführung noch planen.